Freitag, 15. Mai 2009

Spurensicherung sei Dank

Als Pitt zuhause in seiner kleinen Wohnung ankommt, schmeisst er seine Jacke frustriert in die Ecke und geht direkt in die Küche. Er öffnet den mit Magneten in allen Formen und Farben übersäten Kühlschrank, in der Hoffnung, noch etwas Essbares zu finden. Im Seitenfach stehen zwei Bierflaschen, ansonsten herrscht gähnende Leere. Nur noch eine Schachtel von einem chinesischen Schnellimbiss von schräg gegenüber steht ganz hinten auf dem untersten Glastablar. Pitt greift sich die Schachtel, öffnet sie und beginnt zu husten. Der penetrante Gestank treibt ihm förmlich die Tränen aus den Augen. „Zwei bis drei Mal beatmen, und das Zeug lebt wieder.“ denkt sich Pitt, während er das Gefühl hat, seine Atemwege seien von der Nasenspitze bis zu den kleinsten Lungenbläschen verätzt. Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck verschliesst Pitt die Schachtel wieder und schmeisst sie zurück in den Kühlschrank. Er greift sich eine Flasche Bier, knallt die Türe des Kühlschranks zu, stellt sich ans Küchenfenster und betrachtet gedankenverloren das in der Dunkelheit liegende Duisburg.

In der sternenklaren Nacht formt sich langsam nebelhaft das hübsche Gesicht von Gabriela am Firmament heraus. Mit einem tiefen Seufzer dreht sich Pitt um und schlendert Richtung Schlafzimmer. „Wenn man das Magenknurren doch auch einfach an die Garderobe hängen könnte,“ denkt er bei sich.


Kurt Pflümli ist sehr früh am Morgen unterwegs. Er läuft vom Hauptbahnhof der Kasernenstrasse entlang in Richtung des alten, fünfstöckigen Sandsteingebäudes, in dem die Kriminalpolizei in Zürich untergebracht ist. Er lässt seinen Blick über die parallel dahin fliessende Sihl gleiten und sieht einen grauen Fischreiher, der völlig regungslos wie ein Denkmal im Fluss steht und auf Beute in Form eines unvorsichtigen Fisches hofft. Pflümli geniesst die morgendliche Ruhe und Beschaulichkeit, bevor die Stadt erwacht und von Pendlern in ihren Autos überschwemmt und er vom Druck und Stress seines Arbeitsalltages beinahe überrollt wird.

Der Wachhabende Fritz Kellenberger lächelt ihm entgegen, als Pflümli durch die Eingangstüre tritt und vor dem Glaskasten der Zutrittskontrolle stehen bleibt. „Guten Morgen, Fritz,“ begrüsst er ihn, „war viel los heute Nacht?“

„Es hielt sich in Grenzen,“ antwortet Kellenberger, „aber vor knapp dreissig Minuten war ein Kurierfahrer hier, der etwas für dich abgegeben hat.“ Kellenberger dreht sich um, geht in einen Nebenraum aus dem er kurz darauf mit einem Paket zurückkommt und es Kurt Pflümli durch eine Glasschleuse hinüber reicht.

„Schon da?“ wundert sich Pflümli, nachdem er den Absender, Kripo Duisburg, gelesen hat, „Toll, dann kann ich das gleich in die Spurensicherung bringen, danke Fritz.“

„Gern geschehen,“ antwortet Kellenberger und drückt auf den Knopf zur Entriegelung der Zugangssperre, welche auch prompt mit einem lauten Summen und Klicken zeigt, dass die Verriegelung offen ist.

„Einen schönen Feierabend, und schlaf gut.“ sagt Pflümli zu Kellenberger, der mit einem „nur noch fünfzehn Minuten“ antwortet und dabei erlöst lächelt. Pflümli macht sich mit dem Paket unter dem Arm auf den Weg zu seinem Büro, um den Inhalt der Sendung in Augenschein zu nehmen. Er entfaltet die grosse Schweizer Fahne und das beigelegte Schreiben. Nachdem er die paar Worte gelesen hat, schnappt er sich das Stück Stoff und marschiert zur Spurensicherung im Nebengebäude. Dort trifft er auf die resolute Monika Marty, die vor einem Mikroskop sitzt und angestrengt hinein starrt.

Pflümli klopft mit dem Fingerknöchel an den Türrahmen, was dazu führt, dass die Marty erschrocken vom Mikroskop zurück zuckt.

„Mann, Kurt, hast du mich erschreckt, du Depp“ schreit die 49jährige mit funkelnden Augen.

Pflümli kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ok, das nächste Mal schicke ich dir vorher ein Mail, dass ich gedenke, zu dir runter zu kommen, mit der genauen Zeitangabe.“

Die Marty steht auf und kommt Pflümli mit wehendem Arbeitskittel entgegen. Ist mir immer wieder ein Rätsel, wie die Monika das schafft, dermassen viele Schreiber und sonstiges Zeug in die Brusttasche des Kittels zu packen, ohne dass das Teil vom Gewicht abreisst, denkt sich Pflümli. „Und wenn du das nächste Mal wieder über deinem Mikroskop einschläfst, dann achte darauf, dass es nicht wieder so hässliche Abdrücke um die Augen gibt.“

Mit grossen Augen schaut sie ihn an, bevor sie ihm einen leichten Magenschwinger verpasst.

„Du freche Wanze,“ keift sie Kurt an, „noch so ein Spruch, und ich mache an dir eine Lebend Autopsie ohne Narkose.“

Monika Marty ist die Chefin der Spurensicherung der Kripo Zürich und in ihrem Reich im Erdgeschoss die unangefochtene Königin. Trotz ihres Alters sprüht sie vor Energie und wenn sie in ihrem Refugium herum wirbelt, ist es besser, man steht ihr nicht im Weg. Denn dann kann sie zur Furie werden, die nahe an einem Blutrausch vorbei schrammt. Genau wie bei ihrer Arbeit. Sie kann sich regelrecht so in einen Fall verbeissen, dass sie die Welt um sich herum völlig vergisst.

Aber durch ihre akribische Arbeitsweise und ihren Dickschädel ist die Quote erfolgreich ausgewerteter und analysierter Spuren die zur Lösung des jeweiligen Falles führen phänomenal hoch. Und das weiss Kurt Pflümli auch sehr zu schätzen. Durch den gegenseitigen Respekt voreinander hat sich zwischen den beiden trotz grosser Unterschiede im Alter und der Lebensart eine eigene Art kumpelhafte Freundschaft über die Jahre gebildet.

„Was bringst du mir da für einen Fetzen,“ fragt Monika mit neugierigem Blick auf die Fahne, die Kurt noch in der Hand hält, „mein Kleid für unsere Hochzeit?“

„Gott bewahre,“ antwortet Pflümli mit verzerrtem Gesicht, als hätte er gerade unverdünnten Essig getrunken, „dich heiraten? Da schiesse ich mir vorher lieber ins Knie.“

„Selber schuld,“ meint Marty und knufft Pflümli unsanft in die Seite, „du weisst gar nicht, was du da alles verpasst. Also ich nehme an, das ist die Fahne aus Duisburg, nicht? Gib her!“ Während sie das sagt, schnappt sie sich die Fahne und schmeisst sie über die Schulter auf den Tisch. „Dauert aber eine Weile, bis ich den Hersteller eruiert habe, klar?“

„Glasklar.“ Pflümli nickt mit dem Kopf zu einem anderen Tisch, auf dem eine Menge Aufnahmen in einem riesigen Durcheinander liegen. „Das ist von Duisburg, nicht wahr? Vom Tatort. Bist du dort schon irgendwie weitergekommen?“

„Ein wenig.“ antwortet Monika während sie zu dem Tisch geht, „Hey Kurt, beweg deinen Knackarsch her, ich will nicht durch den ganzen Raum schreien müssen.“

Kurt Pflümli stellt sich neben sie und betrachtet die Fotos. „Da sind aber einige dabei, die ich nicht kenne.“

„Ich war fleissig, du Flöte, ich bin nicht nur auf dem Mikroskop gelegen. Ich habe im Internet recherchiert. Wegen dem reitenden Geflügel.“

Pflümli sieht sie verständnislos an.

„Der Flügel, der geklaut wurde,“ erklärt sie, wie wenn ein Dreijähriger neben ihr stehen würde, „ist doch ein Schimmel, oder? Der wurde in Luzern beim Fischer versteigert. Und der hat auf seiner Webseite Bilder von dem Teil, damit auch Auswärtige sehen, auf was sie da bieten können. Und bei einem dieser Bilder bin ich ja auch auf dieses Detail des Kreuzes gestossen.“ Sie nimmt ein Bild hoch, drückt Pflümli eine Lupe in die Hand und deutet auf den Deckel des Flügels. „Siehst du hier, das eingearbeitete Kreuz befindet sich in der Unterseite des Deckels. Ist also nur sichtbar, wenn das Teil offen ist.“

„Diese Bilder...“beginnt Kurt.

„Sind schon auf deinem Computer im Mail.“ wird er unterbrochen. „Und noch was Wichtiges dazu. Wir Schweizer sind nicht berühmt dafür, Konzertflügel zu bauen, aber bei meinen Nachforschungen stolperte ich darüber, dass die Veredelung solcher Instrumente hingegen eine jahrhundertealte Tradition bei uns hat. Dass zum Beispiel unter anderem auch solche Deckel durch Holzschnitzer aus dem Berner Oberland nach Kundenwünschen mit Intarsien verziert wurden. Für diese Einlegearbeiten wurden die verschiedensten Holzsorten verwendet. Warum nicht auch ein Teil von dem „Einen Kreuz“, wenn es dann das Teil auch wirklich gab.“

„Tönt schon ein wenig phantastisch, aber ich bin auch zu lange bei der Polizei, um nicht alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.“ meint Pflümli skeptisch.

„Ob an dem verarbeiteten Holz wirklich mal jemand gehangen hat, sei dahingestellt,“ meint Monika und nimmt ein weiteres Blatt vom Tisch. „Was ich persönlich spannend finde, ist, es gibt gleich neben Interlaken eine Schreinerei, die seit mehreren Generationen in Familienbesitz ist und bekannt für..“

„Intarsienarbeiten ist,“ ergänzt Kurt.

„Ja, du Schnellmerker,“ meint Monika mit einem selbstzufriedenen Lächeln im Gesicht, „und eigentlich sollte bei dir gleich noch was klingeln in deinem nicht ganz so hässlichen Kopf“.

Kurt schaut Monika an und sagt gedehnt: „Interlaken. Waren nicht die in Duisburg gefundenen Streichhölzer von einem Luxushotel von dort?“

„Genau, das Luxushotel, das sich am Fuss von Eiger, Mönch und Jungfrau befindet.“

„Und du stehst auch gleich daneben," flachst Kurt, "das Schreckhorn,“ und kann im letzten Moment dem haarscharf an seinem Kopf vorbei fliegenden Kugelschreiber ausweichen.


„Du kannst von Glück sprechen, dass ich dich irgendwie mag, sonst würde ich jetzt deinen süssen Arsch kreuz und quer durch mein Labor treten.“ Sie nimmt das Bild der Streichhölzer zur Hand. „Also,“ sagt Monika erregt und schlägt Kurt so heftig auf die Schulter, dass er gegen den Tisch knallt, „das kann doch alles kein Zufall sein, oder?“

„Monika,“ Kurt legt ihr die Hände auf die Schulter, „du bist die Beste. Ich liebe dich. Rein platonisch natürlich.“

„Natürlich,“ antwortet Monika mit einem schiefen Grinsen, „und jetzt hau ab, ich habe hier noch eine Menge Arbeit.“ Sie dreht sich um und beginnt in dem Durcheinander auf dem Tisch herum zu wühlen.


Als Kurt Pflümli wieder zurück in seinem Büro ist, greift er zum Telefonhörer und wählt die Nummer von Pitt Brett. Dieser nimmt auch sofort ab.

„Hier Brett, wer dort?“

„Hallo Herr Brett, hier ist Kurt Pflümli, Kripo Zürich.“

„Guten Morgen, schon so früh am Draht? Sagen sie bloss, sie haben schon Informationen für mich.“

„Genau so ist es,“ antwortet Pflümli, „ich möchte sie schnell über unseren aktuellen Wissensstand aufklären.“

Pitt winkt den soeben das Büro betretenden Harry zu sich und schaltet das Telefon auf Lautsprecher. „So, Herr Pflümli, mein Partner hört mit, dann lassen sie mal los.“

Pflümli gibt die aktuellen Ermittlungsdaten durch und schliesst mit den Worten: „Ich werde nachher nach Interlaken fahren, um mir das Hotel Victoria Jungfrau Grand Hotel anzuschauen und die Gästeliste der letzten Wochen verlangen. Und aufgrund der Streichhölzer gehe ich dann noch bei dieser Schreinerei wegen der Intarsien und dem Kreuz vorbei.“

„Wieso Schreinerei?“ fragt Harry. „Werden die Streichhölzer in der Schweiz noch von Hand geschnitzt?“

Die drei Männer beginnen herzhaft zu lachen.

Nachdem Pflümli versprochen hat, Pitt und Harry auf dem Laufenden zu halten legt Pitt den Hörer auf die Gabel und sagt zu Harry: „Endlich mal ein wenig Licht in dem Fall. Auf die Schweizer Kollegen ist halt Verlass.“ Mit beiden Händen auf seinem Bauch fährt er fort, „Und jetzt gehen wir erstmal anständig was frühstücken, um die guten Nachrichten zu feiern. Mir ist schon richtiggehend schlecht vor Hunger.“ Er schnappt sich seine Jacke und stürmt so schnell aus dem Büro, dass Harry Mühe hat, seinem Tempo zu folgen.

„Und wohin gehen wir?“ fragt Harry, als er Pitt endlich eingeholt hat.

„In der Innenstadt hat ein Imbiss eröffnet; „Railway's Bratwurst-Solarium“. Mal testen, wie es dort schmeckt.“ sagt Pitt und zieht die Autoschlüssel aus der Jackentasche.



Bratwurst zum Frühstück – geht das?

Was weiss eigentlich der Fahrer von Moser?

Warum fällt die Stulle immer auf die geschmierte Seite?

10 Kommentare:

Andy hat gesagt…

Du hast mich ja schon vorinformiert das es bei deinem Kapitel um Brienz geht!!
Super gelungen und schön für mich zum lesen da ich ja auch in dieser region zu Hause bin. Zwar am Thunersee aber ich habe letzte Woche 2 Tage in der Region Brienz an meinem Projekt gearbeitet.
freue mich schon auf die nächste Folge!!!!

railway hat gesagt…

Ich sach ma so: Bratwuast zum Frühstück geht. Abba nur mit ordentlich Sempf drauf und ein lecker Pilsken dazu.
Oder wie schon Grönemeyers Herbert sacht:
Gehsse inne Stadt, watt mach dich dann satt, Kürriwuast.........

piepenhagen hat gesagt…

rofl "railway´s Bratwurst-Solarium" Super Story und klasse zu lesen.

Wenn die Story zu Ende ist, schicken wir das als Drehbuch zur ARD, die machen daraus garantiert einen Tatort.

railway hat gesagt…

Da hasse recht, Hippenbock, zumal der Schreibtisch, wo der Pitt Brett dran sitzen tut, immer noch der alte von den Horst Schimanski iss (Habbich aus eine verdammt sichere Quelle direkt aussen Pollezeipräsidium in Dühsburch erfahren!)

Haselnuss hat gesagt…

Das ist ja eine super Story "Geschichtenerzähler", toll geschrieben und schön zu lesen. Freu
LG Haselnuss

piepenhagen hat gesagt…

den Hotte kenn ich, der hat damals 10 Kampf gemacht.

Anonym hat gesagt…

Pflümli? Bratwurst zum Frühstück? *sprachlosist*

piepenhagen hat gesagt…

wer ist denn heutzutage budderbrode zum frühstück? die blagen stehen eh erst zum mittachessen auf, also bradwurscht anjesacht.

railway hat gesagt…

Bratwuast zum Frühstück iss keine ausgewogene Ernährung. Davon kannze Gesundheitsprtoblemens bekommen. Für eine richtich ausgewogene Ernährung gehörn da noch Pommes, Majo, ordentlich Sempf und ein lecker Pilsken dazu!

geschichtenerzähler hat gesagt…

Der Hotte war cool, kommt keiner mehr dran ;-)
Bratwurst? Aber nur vom Railway, ist doch klar, oder?

An alle: vielen Dank für die Komplimente, macht auch Spass, für eine solche Gilde erfahrener Krimi-Konsumenten in die Tasten zu kloppen ;-)
Bin auch schon gespannt wie ein Flitzebogen auf die nächste Folge.........tschüss zusammen und schönes Wochenende an alle :-)